Vierte Architekturwoche A4 Schweinfurt

Architektur in Schweinfurt
Stadtbaukunst und Stadtverderben
Kurze Überlegungen zur modernen Architektur in Schweinfurt

Als Stadtverderben werden in der Geschichtsschreibung Schweinfurts mehrere katastrophale Ereignisse bezeichnet, die große Verwüstungen mit sich brachten und eine Zäsur in der Stadtentwicklung darstellten. Während die kriegerischen Auseinandersetzungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit im Bewusstsein der Stadt nur noch als historische Ereignisse verstanden werden, hat die Zerstörung der Stadt während des Zweiten Weltkrieges – das so genannte Dritte Stadtverderben – sowohl auf das heutige Stadtbild wie auch für das Selbstverständnis der Stadt prägenden Einfluss.

In aktuellen Architekturdiskussionen wird dagegen vielfach der Eindruck erweckt, erst durch den modernen Wiederaufbau wären die Städte endgültig ruiniert worden und nun gelte es, diesen Prozess rückgängig zu machen und durch Rekonstruktionen wieder eine bruchlose Tradition in der Baugeschichte herzustellen. Man mag dieser neuen Sehnsucht nach der „Alten Stadt“ immerhin soweit zustimmen: Man kann Städte tatsächlich auch verderben durch rein an ökonomischen Interessen orientierten Städtebau und qualitätlose Architektur. Dies ist aber eine prinzipielle und keine zeitbezogene Feststellung.

Anstelle des Pauschalurteils soll hier die Aufforderung stehen, die modernen Bauten einmal mit den Begriffen der klassischen Architekturlehre zu befragen: Nach Raumbildungsprinzipien, Wegeführungen, Ordnungssystemen der Fassade, Proportionen, Farb- und Materialharmonien. Die Baumeister des 20.Jahrhunderts wie Theodor Fischer, Paul Bonatz, Olaf Andreas Gulbransson oder Erich Schelling, die in Schweinfurt gearbeitet haben, bieten in dieser Hinsicht vielfältigstes Anschauungsmaterial für den Reichtum moderner Formgebung. Die Architekturwoche mag Anlass sein, dies einmal bewusster wahrzunehmen.

Die Stadt, deren Wachstum sich seit dem 19. Jahrhundert aufs engste mit der Industrialisierung verbindet, erhielt in den Zeiten wirtschaftlicher Prosperität einen Mehrwert in Form von vorbildlichen Bauten der Kultur, des Wohnens und Arbeitens. Viele davon sind längst in das eingegangen, was die Stadt selbstverständlich zu ihrem innersten Bestand zählt. Sie als solche Wertschöpfung zu erkennen und zu erhalten ist, insbesondere bei den jüngeren und weniger repräsentativen Gebäuden, keine geringe Aufgabe für die Planer.

Inzwischen hat ein weit reichender Strukturwandel die Stadt erfasst, der auch die Bedingungen zur Architekturproduktion betrifft. Die Profilierung Schweinfurts nicht mehr nur als Industrie-, sondern auch als Kunststadt hat Potenziale freigesetzt und neue „Leuchtturmprojekte“ in Gang gebracht, die Richtmarken für den Anspruch zeitgenössischer Architektur setzen sollen.

Mit dem Museum Georg-Schäfer und der neuen Stadtbibliothek im Ebracher Hof entstanden nicht nur herausragende Einzelobjekte, sondern ein neuer Stadteingang im Süden. Die Kunsthalle im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad könnte eine wichtige Nahtstelle zwischen Altstadt und Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts neu beleben. Kritisch ist zu fragen, ob nicht die Schaffung allgemein zugänglicher Plätze und die Gestaltung des öffentlichen Raumes immer mehr auf die öffentliche Hand verlagert werden.

Das Mäzenatentum der Großindustriellen ist dem Shareholder Value gewichen. Das Leben in der Innenstadt und die Qualität der Stadtgestalt im Ganzen müssen aber den privaten und gewerblichen Bauherren wie auch den Großkonzernen ein Anliegen sein, wenn langfristig die Lebensqualität gesichert werden soll. Potenziale für neue städtische Räume gibt es genug: Die Verbesserung der Anbindung des Flussraumes an die Stadt ist seit langem ein Wunsch, die Konversion von ehemaligen Industriearealen könnte deren spezifische Qualitäten neu sichtbar und erfahrbar machen. Und auch in der Altstadt ist noch mehr an authentischer Substanz der ehemaligen freien Reichsstadt zu finden, als die verbreitete Vorstellung vom Stadtverderben glauben macht.

Nicht nur die großen Projekte, vor allem auch die kleinen Beiträge zur Architektur machen das dichte Geflecht einer gewachsenen, durchmischten Stadt aus. Stadtbaukunst ist die Anreicherung der Stadt mit Räumen unterschiedlichster Art und Entstehungszeit. Nur wenn diese Räume allgemein wahrgenommen und genutzt werden, können sie für die Gemeinschaft wirksam werden und einen Wertmaßstab herausbilden. Die hier gezeigten Beispiele moderner Architektur in Schweinfurt sollen hierzu einen Diskussionsbeitrag liefern.

Martin Matl